Der Ausbruch eines
indonesischen Vulkans führte heute vor 200 Jahren zur Gründung der
Sozialbehörde Männedorf. Aus aktuellem Anlass rekapituliert die CVP Männedorf die wechselhafte und spannende Geschichte dieser Behörde, die oft etwas im Schatten des Gemeinderates und der Schulpflege steht.
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Die grösste bekannte Eruption eines
Vulkanes veränderte Männedorf.
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Im April 1815 brach
der
Vulkan Tambora im heutigen Indonesien aus – und zwar so heftig,
dass die ausgestossene Schwefel- und Aschewolke sich rund um die Erde
verteilte und das Sonnenlicht so stark filterte, dass die
Temperaturen bis 1819 merklich abkühlten. Im „Jahr ohne Sommer“
1816 (die ZSZ berichtete) gab es Schnee und Ernteausfälle, die
süddeutschen Staaten liessen ihre Grenzen für Nahrungsmittelexporte
in die Deutschschweiz schliessen, die Preise schossen in die Höhe.
Die Situation der Bevölkerung verschlechterte sich über den Winter
1816/17 dramatisch. Der Gemeinderat von Männedorf sah sich zum
Handeln gezwungen. Da er und der Stillstand (reformierte
Kirchenpflege) jedoch schon stark durch die übrigen Aufgaben
belastet waren, beschlossen die beiden Behörden am 13. April 1817,
ein neues Gremium ins Leben zu rufen: die heutige Sozialbehörde.
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Im Waschhaus Billeter begann 1817
die Arbeit der heutigen Sozialbehörde
Männedorf. (Foto: Ruedin)
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Im Waschhaus des
Kaspar Billeter auf Blatten, in dem sich heute eine
Craniosacral-Praxis befindet, wurde Sozialhilfeempfängern täglich
eine Portion frisch zubereiteter Suppe abgegeben; die übrigen
Einwohner konnten ebenfalls Suppe beziehen, zwar nicht gratis, jedoch
stark subventioniert. Finanziert wurde diese „Suppenanstalt“
durch eine neu eingeführte „Armensteuer“ von sechs Rappen pro
hundert Franken Vermögen. Nach dem Rückgang der Teuerung wurde die
Suppenabgabe im Mai 1818 zwar eingestellt; um auf die ungeliebte
Armensteuer verzichten zu können, schwebte Männedorf die sich
selbstfinanzierende Sozialhilfe vor. Kurzerhand nahm die
Sozialbehörde die Funktion einer Baukommission war und plante ein
Armen- und Arbeitshaus, den 1819 für 8160 Gulden erbauten Allmendhof
(heutiges Haus B). Arme und Alte bekamen dort zwar Kost und Logis,
mussten dafür auf dem angegliederten Bauernhof und in der
Hauswirtschaft mitarbeiten. Auf die Armensteuer konnte fortan
verzichtet werden.
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Allmendhof und Allmendhöfli 1908.
(Archiv Ortsgeschichte)
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Die Waisenkinder in Männedorf
haben es vor dem Allmendhöfli
lustig - zumindest als 1900 der
Fotograf kam. (Archiv Ortsgeschichte)
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Es zeigte sich, dass die Unterbringung von Armen, Alten, Alkoholikern und Waisenkindern im gleichen Schlafsaal ungeeignet war. Entsprechend wurde neben dem Allmendhof 1867 ein Kinderhaus erstellt, das sogenannte Allmendhöfli. Erst 1914 wurde der Waisenhausbetrieb ganz vom Allmendhof getrennt und er bezog einen Neubau in der Gruben. Am Vorabend des zweiten Weltkrieges wurden die Waisenkinder in Pflegefamilien plaziert und das Waisenhaus dem Kanton verkauft. Es beherbergt heute die kinderpsychiatrische Kinderstation Brüschhalde. Das Armenhaus hiess ab 1921 Bürgerheim und nach 1949 Altersheim. Das Angebot wurde
1956 mit einer Pflegeabteilung erweitert. Damals sprach man noch von
einem Asyl für Chronischkranke. Daneben kümmerte sich die
Sozialbehörde um die Suchtprävention, um das 1912
gesamtschweizerisch einheitlich geregelte Vormundschaftswesen, das
sie per 2013 an die kantonale Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde abtreten
musste. Später kamen neben der wirtschaftlichen Hilfe die Betreuung
von Asylsuchenden – hier konnte die Sozialbehörde immerhin auf
Erfahrung der Betreuung von 300 internierten französischen Soldaten
der Bourbaki-Armee 1870/71 im Neugut zurückgreifen – und vor einem
Jahrzehnt das Eltern-Kind-Zentrum dazu.
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Das neue Waisenhaus von 1914
dient heute der Psychiatrischen
Uniklinik als Kinderstation.
(Zeichnung Mathilde Bunn)
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So wie sich die
Aufgaben der Sozialbehörde im Verlaufe der vergangenen 200 Jahre
immer wieder geändert haben, wechselte auch deren Name. So trifft
man in den alten Akten unter anderen auf Begriffe wie Armenpflege.
Was sich jedoch wie ein roter Faden durch die vergangenen
Jahrhunderte zieht, ist, dass die Sozialbehörde den Gemeinderat seit
1817 im sozialen Bereich entlastet, mit grosser Umsicht in Not
geratenen Menschen beisteht und unterstützt, wieder wirtschaftlich
unabhängig zu werden. Dies geschieht nicht immer ohne Diskussionen –
weder 1817 bei der Einführung der Armensteuer, noch 2017 bei der
Anpassung an die neue Gemeindeordnung. Sicher ist jedoch: Auch in den
kommenden Jahren wird die Sozialbehörde in Männedorf sich um
Bedürftige kümmern, ab Mitte nächsten Jahres in einer neuen Form,
wieder einmal unter einem neuen Namen und nicht mehr als selbständige
Kommission. Was bleibt, ist ihr Einsatz für Menschen in Not – auch
im dritten Jahrhundert.
Etienne Ruedin
Quellen:
Carl Bindeschedler: Geschichte der Gemeinde Männedorf. Stäfa, 1938.
Etienne Ruedin: Mänidorf, es Läsibuech. Eigenverlag: Männedorf, 1990.
Peter Ziegler: Männedorf. Gemeindeverwaltung: Männedorf, 1975